Montag, 14. August, Tag 10: Ein Tusch am Ende des Hochzeitsmarschs

Was bleibt am Ende? Bilder und Erinnerungen? Zahlen, Menschen, Orte? Erlebnisse und Erkenntnisse? Ein deutliches Jap! für alles – aber was ganz sicher bleibt, das ist das Ende. Das klingt traurig und unerbitterlich, und das ist das Ende meiner Wanderungen normalerweise auch. Normalerweise.

Dieses Mal aber war es anders, denn es erwartete mich ein imaginärer Dreifach-Tusch: Angefangen bei der Begleitung durch das Brautpaar Flo und Anna sowie zwei weiterer Hochzeitsgäste auf den letzen acht Kilometern über die Landstraßen und Äcker hin zum Herrenhaus in Lübbenow über den überschwänglichen Empfang durch bereits angereiste Gäste, Familie und alte Freunde bis hin zum echten Tusch am nächsten Tag, dem Tusch der (unglaublich schönen!) Freien Trauung der beiden Freunde unter strahlend blauem Himmel.

Zeit, „anzukommen“? Nicht wirklich. Zeit, dem Ende „nachzutrauern“? Nope. Zeit, sich nach dem Unterwegs sein „allein zu fühlen“? Auf gar keinen Fall! Das hat sicher seine Vor- und Nachteile, über die ich mich nun, fast eine Woche nach meinem Ankommen in Lübbenow, aber nicht mehr auslassen mag. Hatte ich dort keine Zeit und auch kein Internet, um einen abschließenden Bericht meiner Wanderung von Berlin in die Uckermark zu verfassen, möchte ich den Hochzeitsmarsch aber doch nicht offen stehen lassen. Vor allem mit diesem Tusch am Ende 🙂

Daher bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen: Ja, ich bin angekommen!, und euch allen wieder einmal für eure Begleitung zu DANKEN. Auch den lieben Menschen, denen ich auf meinem Weg begegnet bin und die für zwei völlig Fremde auf einem Tuch, das ich mit mir rumtrug, Glückwünsche hinterließen, möchte ich DANKE sagen – das Hochzeitspaar hat sich sehr über eure Worte und kleinen Bildchen gefreut!Und ich mich auch 🙂

Zum Abschied möchte ich euch nur noch eines mitgeben: Bleibt neugierig! Und wenn euch irgendwo ein Mensch begegnet, der Hilfe braucht, egal wie klein, dann denkt an mich und die hilfsbereiten Menschen, die mir immer wieder auf meinen Wanderungen begegnen; denkt daran, dass mir manchmal ein einziges Wort geholfen hat, um wieder motiviert weiter gehen zu können; eine Geste, ein Lächeln, um selbst wieder fröhlich und aufrecht zu stehen; eine kurze Nachfrage, und jemand fühlt sich vielleicht nicht mehr einsam. Bleibt neugierig.

Eure Hanna

Gelaufene Kilometer Berlin – Lübbenow: 144 km

Gepaddelte Kilometer Berlin – Lübbenow: 42 km

Motto des Hochzeitsmarsch: Der direkte Weg ist nicht immer der schönste

Ankunft in Lübbenow

Der letzte Wandertag in Bildern

Sonntag, 13. August, Tag 9: Überraschend schöne Wege – und ein überraschender Nachtplatz

Ja das sind so diese Sonntage, die genauso verlaufen, wie sie sollten: Sonntag,mTag des Mußes, der Sonne, des Treiben lassens, des sich nicht Hetzen lassens, der schönen ruhigen Zeit. Dachte ich gestern beim Karte studieren noch, dass es wohl eher ein zäher Sonntag wird – es sah so aus,mals wären die Wanderwege stets direkt am Radweg, z.T. direkt an der Straße entlang, so sollte sich das als kompletter Trugschluss herausstellen. Dazu wurde der Tag auch noch mit ganz netten, grundsympathischen Menschen eingerahmt – Herz, was begehrst du mehr?

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Noch am Oberuckersee, Ende meines Ruhetages am Samstag

Die Menschen, mit denen mein vorletzter Wandertag startete, waren Xaver und Anita aus dem Schwabenländle. Meine Nahbarn mit dem Wohnmobil luden mich, als ich grad beim Packen war, zum Kaffee ein und wir verquatschten uns über Reisen, Werte und die geiheime Sprache der Bäume für eineinhalb Stunden – Teil 1 der grundsympathischen Menschen. 🙂 So beschwingt ging ich um elfe los, erst am See entlang,  dann ein Stück Straße durch Warnitz durch und daraus hinaus. Die Sonne quetschte sich immer öfter durch die Wolken, und zack, schon war da ein Weg für uns Fußläufige, der von Rad- und Autoweg abwich; links rein in den Wald.

Das, was ich grundsätzlich liebe und schätze – schmale,  sich windende Pfade, lichter Wald, abenteuerliches Übersteigen von umgekippten Baumstämmen und durch Grün durchwühlen – wurde mir hier leider erneut von den fiesen Mücken verdorben. Naja, so habe ich die zwei Kilometer immerhin ziemlich schnell zurück gelegt 😉 Der hervorragend gekennzeichnete regionale Wanderweg schien zwar nicht oft benutzt, hatte aber lauter abwechslungsreiche Abschnitte für mich bereit. Es folgten gemütliche  Wege – und ein Abschnitt witziger Sumpfpfad – entlang von Gleisen (den ganzen Tag über fuhren vielleicht zwei Züge…) und am Rande von Feldern, weiten Wiesen, auf denen die Kraniche standen und vor sich hin quäkten. Die Sonne trug  ihr übriges zur völlig ruhigen, schönen Atmosphäre bei. „Land der stillen Reize“, steht in einem Ratgeber meiner Wanderkarte von Schorfheide, Uckermark und Benim. Das trifft es ziemlich gut finde ich.

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Fühlt sich gut an, wieder auf dem Fuß zu sein

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Zugewachsene Pfade…

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…mit Hindernissen

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Ja dort ist ein Pfad 🙂 Und sumpfiger Boden, ich freue mich über meinen Wanderstock

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Entspannte Wege führen zum Unteruckersee

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Weite Wiesen, eine frische Briese, man riecht den See – es fühlt sich fast wie Ostseeküste an

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Panorama von meiner Mittagspausenbank „Lan der stillen Reize“

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Erhabener Sitz mit meinen beiden wichtigsten Begleitern

Ein Stück am See entlang, ich war mittlerweile von Ober- zum Unteruckersee gewechselt, ging es sobald von den gemütlichen Feld- und Wiesenwegen auf einen schmalen Pfad, der mich durch dichtes saftiges Grün brachte, an Birken- und Lärchenwäldern vorbei und über Holzstege durch sumpfartige Landschaft am Rande des Sees. Raus aus dem dichten Ufergebiet, zog sich ein schmaler Wiesen- und Sandpfad dicht am See entlang und an süßen kleinen Badestellen vorbei (ich sah mein Zelt heut Nacht schon dort stehen…). Zum Ende hin gab es nach Prenzlau rein ein paar Meter auf dem asphaltierten Radweg zurück zu legen, aber das war nach so viel weiche Böden und schönen Wegen völlig ok.

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Herrliche Stege

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Herrliche Birkenwäldchen

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Herrliche Kennzeichnung 🙂

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Und nochmal kurze Flucht vor den nicht herrlichen Mücken

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Ich hatte mich mit meiner Freundin aus Berlin, Jana, um 17 Uhr hier verabredet und kehrte, da ich noch Zeit hatte, spontan in ein Anglerheim ein, an dem „hausgemachte Kuchen“ stand. Auf der Terasse mit Blick auf den See genoss ich einer herausragende Donauwelle. Als ich kurze Zeit später mit Rucksack und Stock am Tresen stand, um mein Geschirr reinzubringen, war der Wirt gleich Feuer und Flamme wer hier so alles in seiner Gaststätte, die er erst vor fünf Wochen übernommen hat, einkehrt und machte ein Foto für seine Webseite. Daraus entstand so nebenbei das Gespräch, dass ich mein Zelt heut Nacht an einer der Badestellen etwas außerhalb von Prenzlau aufstellen will. Thommy, der hochengagierte Pächter des Lokals „Gastro Thommy“ im Anglerheim: „Kannst dein Zelt auch hier aufstellen,  Platz ist genug und es ist wenigstens eingezäunt.“ …jaaa… Mega! 🙂 Ich freu mich riesig über das Angebot und verspreche, später wiederzukommen.

Jetzt treff ich erstmal Jana, wir gehen an eine Badestelle, nehmen ein erfrischendes Bad in dem krass glasklaren See, trinken Radler und quatschen, bis wir keinen Bock mehr auf Mücken haben. Dann kehren wir zurück zu Thommy und gesellen uns zu der netten Runde Angelvereinsmitglieder plus Anhang. Wir bekommen eine riesen Schüssel selbstgemachten Kesselgulaschs serviert – also wäre dieses Lokal nicht etwas zu weit weg von meinem Wohnort…ich würde öfter kommen! Wir unterhalten uns auch später, als die Gäste gegangen sind, noch lange mit dem Wirt und seiner helfenden Mutter, wie es zu der Übernahme dieser Wirtschaft kam und was da alles so mit drin steckt. Thommys Lebensgefährtin ist übrigens die hervorragende Köchin und Bäckerin, wir richten nochmal unsere Grüße aus, bevor wir allein gelassen werden.

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Hier lässt sichs stehen!

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Blick von der Terrasse

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Thommy und seine Mutter (links) mit Jana und mir (rechts) vor dem wunderschön hergerichteten Tresen der Gastro Thommy im Anglerheim

Zum krönenden Abschluss des wunderbaren, vorletzten Wandertags (schon fast ein – sehr gelungener – Abschluss meiner Tour), liegen Jana und ich auf dem dunklen Steg im See vor dem Lokal und schauen in den Sternenhimmel. Und sehen Sternschnuppen.

Gelaufene Kilometer: 18 km

Motto des Tages: Darum bringen Kaffee und Kuchen,  ach was sag ich!, darum bringt Essen Menschen zusammen 🙂

Freitag, 11. August, Tag 7 (+Samstag, 12. August): Raue See, gar nicht so raues Wetter und gar überhaupt kein rauer Spaziergang  

Wenn ich das schreibe,  Tag 7, kommt es mir lächerlich wenig vor. Und es überkommt mich ein bisschen naja Scham, dass ich nach dem vierten Tag Wandern schon abbrechen musste. Wenn ich bedenke, dass ich sonst drei Wochen am Stück unterwegs war, ohne große Ruhepausen oder gar Tage (wie ich ihn grade, am Samstag, einlege). Umso glücklicher, dass ich die Tage Nichtwandern mit dem Kayak umgehen konnte. Und auch der letzte Bootstag hielt für mich nochmal einen anderen Aha-Effekt bereit.

Doch erstmal morgens der Aha-Effekt: Wenn Sturm und Regen angekündigt sind, ist auch noch so jeder schöne Platz am See saubleed. Nicht nur wegen der starken Angreifbarkeit vom See-Wind, sondern vor allem, weil am nächsten Morgen alles aussieht wie Sau! Nasser Sand überall, Zelt klatschnass, der Regen hört und hört nicht auf. Naja, nach abwartendem Kaffee und Brötchen im Zelt, pack ich alles zusammen, zieh mein Kayak durchs Wasser direkt ans Ufer vor meinem Zelt, schmeiße das klatschnasse Zelt-Gedöns in den einen Staumraum und den Rest in den andren. Zusätzlich zum Müllsack erhält mein Rucksack auf dem Vordersitz die Regenhülle meines Rucksacks übergespannt, meine Luke bedecke ich mit meiner Regenjacke. Not macht erfinderisch 🙂

 

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Und auf geht’s – über die raue See! Das Unwetter von heute Nacht hat den Werbellinsee ordentlich aufgewühlt, der Wind pfeift um die Ohren, ein leichter Regen komplettisiert das Schauspiel. Ich kämpfe mich gegen die Wellen vorwärts (ok das klingt dramatischer als es war: keine der Wellen war nur ansatzweise so hoch wie der Rand des Kayaks und auch nur ansatzweise gefährlich ;)). Kurz überleg ich, ob es diesmal sinnvoll gewesen wäre, das Ruder ins Wasser zu lassen, aber die Steuerung rein über das Paddel funktioniert, wie in den letzten Tagen, eigentlich recht gut,  auch wenn es mehr Krafteinsatz erfordert. Ich versuche, in der Nähe des Ufers zu bleiben,  vergesse es aber ehrlich gesagt manchmal und wähle den direkteren Weg von Landzunge zu Landzunge.

Dachte ich vor dem Losfahren noch, boah das wird sicherlich nur anstrengend und ätzend bei dem Wetter, löst sich dieser Gedanke auf dem Wasser im Nu auf. Es macht auf eine ganz andere Art, wie das gemütliche Dahinpaddeln auf den Kanälen, richtig Fetz! Ich verstehe, warum bestimmt Typen von Menschen gerne auf der rauen, weiten See unterwegs sind. Zumindest ansatzweise: Ich fühle mich so eng an dieser archaischen Natur wie fast nie, fühle mich dieser Gewalt gleichzeitig ausgesetzt und so, als könnte ich sie für diesen einen Moment und für ein ganz minimal kleines Stück beherrschen. Sie gibt einen Energie und Ruhe, eine Weitsicht wie auch die Konzentration auf den Punkt. Ich liebe es. Daher ist die Überquerung des Werbellinsees für mich viel zu schnell vorbei (auch wenn mein linker Arm ganz froh ist).

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Nach zwei Stunden erreiche ich Elsnau (Joachimsthal), wo ich am Schorfheimer Yachtclub-Slipper anlegen darf. Hätte ich das gestern schon so einschätzen können (ich war von 3-4 Stunden mit Pause ausgegangen), hätte ich mir Sand und Wind vielleicht ersparen sowie Zeit und Kilometer gewinnen können. Andererseits wäre es spät geworden, ich hätte weiter laufen müssen und hätte erstmal gar keine Übernachtungsmöglichkeit in der Nähe gehabt. Und sowieso scheint das Motto der diesjährigen Tour zu sein, es mal mit mehr Ruhe angehen zu lassen 🙂

 

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Zeltverstauung deluxe! Dafür musste sogar mein Kleid für die Hochzeitsfeier von der Poleposition weichen – die Prioritäten sind eben klar gesetzt. 😀

Das mach ich auch. In Ruhe wird alles aus meinem lieb gewonnen Rainbow-Kayak wieder im  und am Rucksack verstaut, da holt Brigitte vom Naturcamp Triangel es auch schon ab und ich bin wieder auf meine Füße angewiesen. Die beweisen sich auf dem Waldpfad Richtung Joachimsthal als tüchtig und so steh ich nach gemütlichem Spaziergang in der Touristinfo, um mich dort nach Möglichkeiten zur Übernachtung (aufgrund des Nässe-Grades des Zeltes überlege ich, mir ein Zimmer zu gönnen, einen zu Fuß erreichbaren Campingplatz gibt es eh nicht und wild zelten bei erneut angekündigten Gewitter mag ich auch nicht) oder nach öffentlichen Verkehrsmitteln Richtung Norden zu erkundigen. Es war mir von Anfang an klar, dass ich durch den Abstecher aufs Wasser Kilometer verloren habe, aber besser als entweder gar nicht voran zu kommen oder alles mit Öffentlichen zu überbrücken.

 

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Back on track!

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Störche in Joachimsthal

Die Dame in der Info macht mir schnell klar, dass ich etwas naiv war. Ich bin in der Ferienzeit unterwegs, es ist dazu Wochenenden-Beginn und Joachimsthal und umgebende Ortschaften liegen am beliebten Berlin-Usedom-Radweg. Das bedeutet a) Übernachtung sieht schon mal schlecht aus und b) mit Öffentlichen komme ich nur zu bestimmten Orten (nicht wie im Ballungsraum Rhein-Main wo man zu fast jeder Tageszeit zu fast jedem Kaff kommt). Daher entscheide ich mich, auch aufgrund der Wetterlage und um meinen grade erholten Füßen nicht direkt wieder lange Strecken zuzumuten, den noch frühen Tag zur Überbrückung einiger Kilometer via Bus und Bahn zu nutzen (samstags hätte ich da eh noch mehr Probleme gehabt).

In Warnitz am Oberuckersee gibt es nämlich einen Campingplatz. Einen sehr schönen und günstigen sogar. Die Zeit zwischen Ankommen und erneutem Einsatz des Regens reicht sogar locker aus, um alle Zelt-Utensilien getrennt trocknen und etwas sauber machen zu können. Wäsche ist auch gewaschen und das WLAN hier lässt auch zu, dass ich meine bereits geschriebenen Blogbeiträge hochladen kann. Gute Entscheidung also – auch wenn ich bei erneuter Kontrolle meiner Wanderkarte festtelle: Ich bin „zu weit“! Witzig! Von „die Strecke schaffe ich nicht komplett zu Fuß“ zu „ich brauch bis Lübbenow nur noch zwei, nicht drei Tage“ in einer Stunde Bus- und Bahnfahrt 😉

Erst ärger ich mich, dann freu ich mich. Der abends einsetzende Regen (von dem fiesen Gewitter allerdings keine Spur) hört nämlich auch samstags nur sporadisch auf. So kommt mir der Ruhetag gelegen, wenn auch seltsam vor. Aber zwei Übernachtungen draußen irgendwo (Zeltplätze gibt es keine mehr auf dem Weg), das muss bei der Wetterlage nicht sein, vor allem wenn man die Strecke im zwei statt drei Tagen bewältigen kann (glaube ich zumindest jetzt noch, haha).

Das heißt aber auch: Nur noch zwei Tage wandern! Dann bin ich schon wieder an meinem Ziel angekommen. Krass.

Gepaddelte Kilometer: ca. 8 km

Gelaufene Kilometer: ca. 4,5-5 km

Motto des Tages: Hauptsache in Bewegung

Donnerstag, 10. August, Tag 6: Ein Zelt, das auf die Probe gestellt wird

Es sollte ein entspannter Tag mit kurzzeitig beklemmenden Mittelteil und stürmischem Ende werden. Dabei war mir das Wetter – wie die ganze Tour schon – hold, nachts hat es sich ausgeregnet; nach 33,5 Tropfen, die mich im Boot erwischten, dann auch endgültig kein Regen mehr. Bis zum späten Abend, die Nacht wurde zu Probe für mein Zelt.

Aber der Tag verlief wirklich ruhig. Nachdem ich erstaunlich gut und friedvoll an meinem privaten Zeltplatz geschlummert hatte, war mein Kram schnell verpackt und verstaut – am längsten brauchte ich für das Absammeln und Drumherumlaufen der Nacktschnecken. 😉 So fühlte ich mich trotz früher quitschfidele und rundum vergnügt. So war ich zwar überrascht, dass keine 300 Meter weiter, hinter der nächsten Kurve, schon die nächste Schleuse wartete, aber es störte mich nicht, dass ich so früh dran war, so dass ich eineinhalb Stunden auf die Schleusenöffnung warten musste. Frühstück hatte ich eh für diese Schleuse geplant.

 

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Glücklich! Nacht überstanden & genossen, Regen fast weg, los gehts!

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Sonne kommt schneller als ich dachte, der Kanal zeigt sich von seiner schönsten, natürlichsten Seite

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Mein Rucksack immer schön in einem Müllsack wasserdicht verpackt auf dem Vordersitz mitreisend, zusammen mit meinem treuen, fest angebundenen Wanderstock

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Da fährt mein morgendliches Schauspiel davon zu seiner Arbeit

Außerdem kam ich mir fast vor wie ein Zuschauer eines (simpel konstruierten) Theaterstücks: Zwei Kähne der Wasserwacht, einer mit Bäumen beladen, der andere mit schwerem Gerät,  wurden in Betrieb genommen. Die Seemänner wuselten rum, rufen sich derbe Sachen zu – fast wie daheim auf Arbeit ;-D Dann, als die Schiffe abgelegt hatten, kamen zwei: der übergewichtige Chef mit seinem Lehrling, fast wie bei Werner Beinhart! Die trimmten den Rasen um die Schleuse, pusteten die Wege sauber, fuhren wieder. Kurze Zeit später kam der Schleuser, und auch meine beiden Werner-Helden fuhren wieder vorbei. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass wohl einer von ihnen seinen Helm hat liegen lassen. Das gab natürlich gleich Anschiss für den Lehrling – ich sag ja, wie auf Arbeit 😀

Die beiden Komiker traf ich auch an den folgenden Schleusen und tatsächlich waren sie mir eine große Hilfe. Der typisch vor sich hin schlappmaulende Chef, während Lehrling Werner sich hinten die Kippe dreht, konnte mir nämlich berichten, dass es einen Verbindungskanal zwischen dem Finow- und dem Werbellinkanal gibt, so dass ich mir weite Strecken (sicher 4-6 km) sparen konnte. Dieser ältere Kanal war gerade wohl erst wieder für kleine Boote frei gegeben worden,  das bestätigte mir dann auch der letzte Schleuser.

Sehr schön, hatte sich das Thema, wie ich vom Kanal zum Zielort am Werbellinsee gelange (navigier mal mit ner Wanderkarte auf dem Seeweg), auch wie von allein gelöst. Der Verbindungskanal war dazu wunderschön, ich konnte die Wasserpflanzen bis zum Boden hin sehen, und als die Gegenströmung ein wenig nachließ, ließ ich mich kurz mit der Sonne im Gesicht treiben.

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Auf dem Finowkanal (unter Marienwerder) hätte ich weiter nach Westen (also links aus der Karte raus) fahren müssen, um dann letztendlich auf dem Oder-Havel-Kanal wieder zurück nach Osten fahren zu müssen. Dort geht, oberhalb von Marienwerder, der Werbellinkanal über die beiden kleinen Seen hoch zum Werbellinsee.
Der kleine Verbindungskanal nach der Ruhlsdorfer Schleuse (auf der Karte am Pferdehof vorbei) hat mir also zähe Kilometer gespart.

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Treiben lassen mit Sonnenschutz auf dem Verbindungskanal

Das war gut, denn dann wurde es kurz anstrengend: Bei der Überquerung des Oder-Havel-Kanals musste ich Gas geben, um gegen die Querströmung anzukommen und dem Berufsverkehr nicht im Weg zu sein. Kurze Zeit später, im Werbellinkanal, nahm ich dankbar zur Kenntnis, dass ich stets auf so kleinen Kanälen unterwegs war und noch sein werde. Der breite, schnurstracks geradeaus führende Oder-Havel-Kanal mit seinen monströsen Schiffen – das hätte mir keinen Spaß gemacht. Der Werbellinkanal dagegen ist fast noch idyllischer als auf dem Finow, noch mehr unbefestigtes Ufer und kleine Holzbrücken. Es gibt zwei selbstautomatische Schleusen.

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Ein Schwan mit ihren acht Jungen! ❤

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Bei der zweiten bin ich alleine und habe etwas Probleme…ja ok, weil ich auch bei roter Ampel schon eingefahren bin…aber die Schleuse war leer und sah so, naja, fertig geschleust aus…konnte ja nicht wissen, dass eine zu frühe Einfahrt einen Fehler im Sytem verursacht…ächem hust…kommt nicht wieder vor! War ganz schön unheimlich, alleine in die Schleuse eingesperrt zu sein und nix ging. Die Quittung hatte ich mir also schon selbst gegeben. Auch das Aussteigen aus dem Kayak auf die Mettalleiter in der Schleusenwand war mir nicht ganz geheuer, aber am End – dank der Hilfe eines Passanten und der Rufsäule zum Hafen – haben sie mich wieder frei gelassen 🙂

Und schwups war ich auch schon vom Kanal in den See gekommen! Die Wellen machten das Vorankommen schon schwerer, aber es war noch kein großer Wellengang und es war schön, mal auf was andrem zu fahren. Ich beschloss trotz der frühen Uhrzeit (ca 15 Uhr) einen Campingplatz anzusteuern. Ich musste ja nur noch über den See bis zum vereinbarten Treffpunkt (Boot-Abholung) und wollte mir lieber nicht den Kraftakt heute noch geben und dann ja noch zu Fuß weiter, um irgendwo zu nächtigen. Außerdem musste mein Kopf mal aus der Sonne raus… Die schien heut nämlich echt recht ordentlich, gena wie gestern den ganzen Tag. So gut! Gut war auch der Stellplatz, den ich mir für mein Zelt wählen durfte: Direkt am Strand, zwei Meter vom Wasser entfernt. Geil! Das erwies sich abends leider als nicht ganz so clever.

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Platz am Meer… Ok am See, aber es fühlt sich nach Weite an.

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Freche Krähen, aber auch unheimlich clever wenn es um Nahrung geht

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Das Unwetter kündigt sich rotglühend an…

Da kam es nämlich wirklich, das so lange angekündigte Unwetter. Und zwar vom See her volle Breitseite gegen mein armes, kleines Zelt! Ich lag auf der Wind abgewendeten Seite und betete, dass Heringe und die Stangen den permanenten Starkwinden standhalten, vor allem aber auch die extra Sturmböen verkraften würden. Einmal musste ich den Hering am vorderen Eingang wieder in den Sand drücken, sonst hielt es dem Unwetter aber tapfer stand! Geniales Zelt eben 🙂 Nur ein wenig nass war es in einer Ecke geworden, wo das Außenzelt zu lang zu arg gegen das Innere gedrückt wurde. Aber das war sehr viel weniger als ich zwischendurch befürchtete – Bewährungsprobe mit Sternchen bestanden!

Gepaddelte Kilometer: 15-16 km

Motto des Tages: Ich bin ein Star, holt mich hier raus! 😉

Mittwoch, 9. August,  5. Tag: Wie ich anfing zu wandern ohne zu wandern

Eigentlich beginnt dieser Tag schon gestern Abend (Auflösung Cliffhänger vom letzten Blogbeitrag, sprich 8. August ;-)). Zwar fand ich die Quarklösung super (ich bin sicher, meine Mutti wird sich auch freuen) und sie half auch tatsächlich. Aber klar war mir schon bei Ankunft im Naturcamp Triangel, dass selbst wenn die Füße morgens gut aussehen sollten, es einfach nicht schlau wäre, weiterzulaufen. Es wäre sogar ziemlich dumm. Das lehrten mich schließlich auch die ersten Kilometer des letzten Tages… Aber wie sollte ich voran kommen, ohne einfach nur in Öffis zu steigen? Ich wollte schließlich so gut es geht aus eigener Kraft zur Hochzeit wandern.

Da besann ich mich auf die Woche Fortbildung vor meiner Wanderung, sah mich um, blickte auf die Karte, sprach mit Sibyl vom Naturcamp. Wir schauen zusammen auf meine Karte, ich schau in meinen Geldbeutel und tief in mein Herz: Japp, das mach ich! Sibyl ist begeistert, ich bin begeistert – und so entspannt schlaf ich auch trotz starkem Regen in der Nacht ein.

Der nächste Morgen: Gutes Zeichen, der Regen ist der Sonne gewichen. Zustand der Füße: Viel besser als gestern! Hätte ich doch wandern können? Nein, ich bin ziemlich sicher, dass es nach spätestens 4-5 Kilometern zu einem ähnlichen Problem gekommen wäre wie den Abend zuvor. Sie bekommen noch ne Quarkpackung und dann kann es losgehen mit dem Wandern.

Dem Flusswandern. 😀

Das stimmt natürlich nicht ganz, denn es ist ein Kanal auf den ich mich begebe, aber ich mag nun mal Wortspiele und wenn ihr das hier lest, müsst ihr da mit durch. 😉 Aber das Prinzip stimmt: Ich leihe mir für die nächsten drei Tage ein 2er Reise-Kayak und werde so weiter auf meinem Weg gen Lübbenow bleiben können, aus eigener Muskelkraft. Bäm! Ich bin Feuer und Flamme und freue mich des Todes über diesen spontanen Wechsel, auch wenn ich dafür etwas vom Kurs abkomme: Ich kann mir ja schlecht die Kanäle und Seen so zurecht legen, dass sie mir den direkten Weg zum Ziel fließen. Zu Anfang wäre ich schon glücklich gewesen, wenn ich mächtig gewesen wäre, die Fließrichtung zu ändern 😉

 

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Gemütliches Dahinschippern auf dem Finowkanal

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Völligste Freude schon nach den ersten hundert Metern

Doch der Gegenwind macht mir nichts: Mal gemütlich, mal mit mehr Anstrengung paddel ich den Alten Finowkanal gen Westen, unterbrochen nur von den sehr häufigen Schleusen (dafür zum Teil aus den Jahren um 1830), die allerdings prächtig abgestimmt sind: Sobald der Schleuser mich auf die andere Seite gehoben hat, telefoniert er die nächste an, die mich dann fast immer sofort weiter verarztet. Gutes System, außer dass ich zu fast keiner Pause komme 😉 Was ich heute ansteuer, weiß ich allerdings eh noch nicht. Erstmal schauen, was ich so am Tag/in der Stunde paddele. Auf meiner Wanderkarte ist erstmal kein Campingplatz eingezeichnet, so formt sich in meinem Kopf die Idee, an das Bootsabenteuer doch auch noch einen Zeltplatz irgendwo am Kanal zu finden. So für mich alleine.

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Mein gelbes Geschoss: Das Rainbow-Kayak an einem Anleger vor einer Schleuse

Dafür schaffe ich es, hinter einer der Schleusen anzulegen (das mögen die nicht so gern, wenn man dann durch das Schleusen-Grundstück muss, verboten, Regeln einhalten und so…), und der Schleuser wartet mit der Meldung, bis ich von einer kleinen Einkaufstour zurück bin: Wasser, Käse, Äpfel, Schoki, was man halt so für ein wildes Camp braucht. Besagter Schleuser informiert mich auch, dass ich spätestens halb fünf an der nächsten Schleuse sein muss, um 17 Uhr ist nämlich Schicht im Schacht. Da ich bisher aber eher schneller unterwegs war, als die netten Helfer vermuteten, paddel ich nicht auf Teufel komm raus.

Und packe die Schleuse natürlich trotzdem (mal ehrlich?, wieviele von euch haben gedacht, ich hätt’s nicht mehr geschafft? ;-)). Die einzige Dame in dieser Riege (und es waren bestimmt 7 oder 8 Schleusen) erzählt mir dann von einem Campingplatz circa zwei Kilometer hinter der Schleuse und gibt mir sogar einen Flyer mit. Komischerweise betrübt mich der Gedanke. Als hätte ich nun ja gar nicht das Recht dazu, mir einfach einen Platz zu suchen (obwohl schon einige an, in und um die Schleusen herum mich bestätigt haben, dass das kein Problem wäre), weil da gibt es ja einen offiziellen. Warum also etwas „riskieren“? Es betrübt mich, weil es sich nun gezwungener in mir anfühlt, mir eine Platz für mich alleine zu suchen. Denn an dem Plan halt ich fest, ich hab mich schon so an der Vorstellung von einem idyllischen Ort, wo nur mein Kanu, mein Zelt und ich sind, fest gebissen.

Obwohl das Ufer lange Zeit nach der Schleuse gar nicht so gut geeignet ist: Mehr Sumpf, dichter Baumbewuchs und hohes Gras als eine Lichtung für mich. Klar zweifel ich, aber umdrehen zu dem Campingplatz, der mir von außen nicht gefallen hat (so geschniegelt, als würden abends Animateuren rumlaufen, um zur Show zu bitten – was wahrscheinlich nicht der Fall ist, weil hier alle Campingplätze sehr in die Natur eingebunden und doch eher unaufgeregt sind, also warum sollte das hier am Rande eines Biosphärengebietes anders sein, aber egal, ich schweife mal wieder ab…). Also umdrehen, ne! Ich paddel gemütlich weiter (keine Gegenströmung mehr, yeah!), bis ich einen Platz erspähe, der sich sofort anbietet.

 

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Mein Platz für heute Nacht (am nächsten Morgen aufgenommen)

Auch wenn er am „falschen“ Ufer ist (ich wäre gerne auf der anderen Seire gewesen, um der Sonne beim Untergehen zuzusehen): Zwischen unbetretbaren Bäumen und Schilf, öffnet sich ein Stück Grün, das wohl zumindest schon mal als Lagerfeuer-Stelle genutzt wurde. Nach erster Mücken-Abwehraktion und Besichtigung, beschließ ich hierzubleiben. Euphorie mag sich irgendwie trotzdem nicht ganz einstellen: Ein bisschen mulmig ist mir schon. Werden Tier durch mein Essen oder die Reste davon angelockt werden? Und wenn ja, was würde passieren? Was ist mit den richtig dicken, großen toten Ästen der Kiefern über mir? Werden die, falls der sich ankündigende Wind und Regen heut Nacht kommt, halten oder mich bei einem gegebenenfalls Abbrechen treffen?

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Essen tue ich noch draußen, aber die Mücken jagen mich schnell rein

Tatsächlich gehe ich also mit mulmigen Gefühl ins Zelt. Klar habe ich mittlerweile schon öfter allein irgendwo draußen gepennt. Aber so weit draußen im nirgendwo? Vorne das Wasser, dahinter nur Wald, das ist auch für mich neu. Ich lausche den Geräuschen um mich rum, kann mindestens fünf verschiedene Vogelstimmen raushören, höre irgendwo Katzen fighten, dann Hunde bellen, die verhassten Mücken surren an meinem Ohr (aber draußen,  hah!), der Wind geht durch die Blätter, aber noch nicht arg, mehr Sorge macht mir der hämmernde Specht (wehe der hackt an meinen zwei Kiefern!), ich höre di Enten im Kanal plätschern und das zirpen der Grillen. Solange ich noch was sehen kann, schau ich durch die eine Öffnung des Zeltes auf die Kanal-Landschaft, auf der anderen Seite in den Wald. Als die Angst vor ein paar Minuten sehr präsent war, wollte ich eigentlich einfach die Kopfhörer in die Ohren stecken, Augen schließen und mit Musik schnell einschlafen.

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Doch jetzt versuche ich das Alles um mich rum aufzunehmen, mitzunehmen, einzunehmen. Mich dem auszusetzen war im Nachhinein das Beste was ich hätte tun können: Nachdem die Nacht total friedlich (Regen und Wind haben alles nass, aber keine Astschäden gemacht ;)), weiß ich das Erlebnis zu schätzen und – trotz Nacktschnecken an meinem Zelt und eigentlich überall – bin froh, mich genau so entschieden zu haben.

Gelaufene Kilometer: zu vernachlässigen 😉

Gepaddelt Kilometer: ca. 20 km

Motto des Tages: Wer nicht laufen kann, muss paddeln gehn

Dienstag, 8. August, 4. Tag: Hanna Specialé

Speziell, das war der Tag wirklich. Dabei ist es wie immer: Im Nachhinein nur halb so tragisch. Vor allem jetzt, da ich den Text unterbrechen musste, weil die untergehende Sonne die Wolken über dem Oder-Havel-Kanal rosarot färbt und das viel schöner anzusehen ist wie das Neon des Tablet-Bildschirms. Und noch einmal, weil sich endlich der Verursacher der Fressgeräusche zeigt, die ich seit ich mich an den Kanal gesetzt habe höre. Ein Bieber! Ich bin in heller Aufregung, winke den kleinen Jungen in meiner Nähe herbei und wir folgen dem schwimmenden Tier, bis es untertaucht. Keine 5 Minuten später entdecke ich noch einen, der noch am Ufer ist: So riesig! Ich bin fasziniert und beschäftige mich die nächste halbe Stunde mit den Nagern, bis ich vor den Mücken zurück ins Zelt flüchte und nun weiter berichten kann.

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Was ich damit sagen wollte: Es läuft vielleicht nicht alles ganz nach Plan, mit Sicherheit läuft sogar einiges so ganz und gar nicht nach Plan. Aber solange man damit konstruktiv umgeht, sitzt man am Ende an einem Kanal und schaut Biebern beim Fressen oder Bau bauen zu während die Sonne untergeht. Könnte mir schlechter gehen, wenn ich bedenke, was ich heute morgen noch gerissen habe. Und welche Gedanken hin und her gewälzt.

Keinen einzigen Gedanken habe ich allerdings gewälzt, als ich es hätte tun sollen. Nämlich als ich heut morgen gegen 10 Uhr (den gemütlichen Start habe ich mir nach gestern gegönnt) den Campingplatz verließ. Eigentlich sogar noch früher, vor dem Anziehen der Schuhe wäre schon nicht undumm gewesen: Mit Blasenpflastern über den noch am stärksten geröteten Stellen (kleine Fußzehen), hätte ich vielleicht – vielleicht!!! – keinen Quark am Abend gebraucht. Doch ich schweife ab.

Am Zeltplatz also war ich total gedankenlos weil prima gelaunt und Bock auf einen Tag Uferwege, nach der ersten Stunde schön am See rasten und frühstücken, dann nach so 15 km überlegen, läufst du einen Schlenker westlich (Richtung Biesenthal zu einer Freundin, die allerdings grad nicht zuhause ist) oder bleib ich Kurs nordöstlich um nicht zusätzlich Kilometer zu machen. So lief ich dahin schweifend dahin, im Kopf kurz aufgeblinkt den Satz des Platzwartes („Ach der 66-Seenweg, ja der geht ja unten am Campingplatz vorbei und dann durch), also unten raus, dem See weiter entlang. Langsam entstand in mir der Plan,  ja,  ich lauf so 20 km und such mir dann weiter Nordost ein Biwak-Platz für mein Zelt, so richtig schön irgendwo frei und allein zelten, da hab ich Bock drauf. Und so lief ich beschwingt dahin, die Füße waren besser als gestern befürchtet, und ich freute mich schon, heut abend hier schreiben zu können: „Der Weg war so herrlich schön unaufgeregt…“

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Ok, bevor ich euch noch länger aufhalte oder versuche, mich zu erklären und Entschuldigungen aufzuführen bevor überhaupt was passiert ist, und um den heißen Brei drumrumzureden nur um folgenden Satz nicht schreiben zu müssen:

Ich bin einmal um den ganzen besch$÷@*¥ See rumgelaufen. Zurück zum Campingplatz. Hanna very spezial eben. Mal eben 5,5 km „umsonst“ gelaufen. Nicht gut.

Vor allem wenn man den Tag davor 34 km gelaufen ist und einen humanen Gang einlegen wollte. Wie gesagt, ich könnt euch noch ein paar Gründe aufzählen, warum ich so dumm sein konnte, einmal im Kreis um ein und denselben See zu laufen, statt einfach weiter nördlich – ja ich weiß, Sonne entweder rechts von mir oder im Rücken um die Vor-/ Mittagszeit, zum nächsten See zu laufen. Aber ich selbst verstehe es erst als ich tatsächlich wieder am Campingplatz bin.

Zuvor treff ich vier Berliner, die mir aus meiner bereits entstandenen Verwirrung (eine unklare Kreuzung mit Schildern sowie Sonnenstand und Karte haben nach etwa 3,5-4,0 km nicht ganz zusammen gepasst, aber da wars schon geschehen) raushelfen und mich auf das Unausweichliche vorbereiten. Daher bin ich tatsächlich noch gar nicht so mega abgefuckt von der Situation: Klar ärger ich mich, weil es unter Umständen meine erdachten Pläne zunichte macht (wer nicht oft wandern geht: Bei 20 km machen 5-6 km mehr am Ende viel aus),und weil es sich immer schlecht anfühlt, falsch gelaufen zu sein (vor allem im Kreis!). Doch, der Weg war tatsächlich so entspannt und schön, unaufgeregt eben, und ich so gut gelaunt, solange ich unwissend war, dass ich es recht gelassen hinnehme (zumindest sagen dass die Berliner ;)).

Richtig ärgern tue ich mich erst, als ich wieder am Tor des Campingplatzes stehe, unterhalb natürlich, und trotzdem nicht verstehe, wo ich hätte lang gehen müssen, ergo wo ich jetzt auch lang soll. Ich gehe an drei verschiedene Wegekreuzungen mit diversen Schildern und Wegekennzeichen ohne Pfeile, versuche dem Sonnenstand und der Karte nach mich zu verorten und den richtigen Weg. Bis ich schnalle, dass es oberhalb des Campingplatzes – also nicht am Ufer, sondern irgendwo hoch weg vom See – tatsächlich einen wunderbar eindeutigen Wegweise gibt, habe ich weiter 500 m verloren. Jetzt ärger ich mich. Wegen mir, wegen der Kennzeichnung des Wegs, wegen dem Platzwart, wegen allem,aber vor allem wegen mir.

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Den Wegweiser hätte ich morgens gebraucht, leider stand er oberhalb des Campingplatzes, nicht unterhalb…

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Hanna specialé 1: „Mist, dass war ganz schön doof“

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Hanna specialé 2: „Naja, bins ja gewohnt, weiter gehts“

Das hört sich jetzt vielleicht an, als wäre ich wie Rumpelstielzchen durch den Wald gewandert, aber eigentlich wars kurz drauf schon fast wieder egal, weil ich ein andres Problem hatte. Meine tapferen Füße. Wenn das nach sechs Kilometer schon wieder so anfängt zu brennen und unangenehm bei jedem Schritt ist, dann sind auch keine 20, eigentlich auch schon keine 15 Kilometer mehr drin. Ich mache die verdiente Frühstückspause am „Malerblick“ kurz vor 12 Uhr. Ein Blick auf die Karte, ein Blick nach Innen, noch ein Blick auf die Karte, noch ein tieferer nach Innen.

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Rast am Malerblick, Rast um einen  neuen Plan zu schmieden

Ich beschließe, zu cheaten. Man muss auch mal über seinem kleinen hüpfenden Ego stehen und zulassen, dass es so keinen Sinn hat, die ganze Strecke bis Lübbenow zu laufen. So gern ich würde. Aber Spaß wäre das so leider nicht mehr. Also gebe ich meinen Füßen was sie zu brauchen scheinen: ne Pause. Drei Kilometer müssen wir drei noch, dann erreich ich auf den zwei Geplagten die Bushaltestelle in Leunberg. Über eine Stunde bis der Bus fährt, egal.

Ich schleppe mich noch 200 m weiter bis zu eimem Bäcker, wo ich draußen meine Schuhe und Socken ausziehe. Böser Fehler. Überhaupt nicht gut, dagegen war gestern abend Ponyhof. Ansätze von dem, was ich mal salopp rote Grätze nenne, habe ich auf all meinen Touren gehabt. Eine Reaktion auf Schweiß, Reibung und Sockenmaterial. Ansätze. Das ist ne Nummer härter. Warum? Ich bin nicht sicher. Ich trage andere Schuhe als sonst, weil ich für den Sommer leichtere haben wollte, als das Paar, das ich bei meinen Frühjahrstouren an hatte. Aber eingelaufen waren sie schon, bequem dachte ich auch. Die 35 km von gestern? Mehr Schweiß wegen den Temperaturen? Die ganzen Stiche? Keine Ahnung, aber es it wie es it und et kümmt wie et kümmt.

Im Bäcker lerne ich zwei nette Rentner kennen, wir tauschen Geschichten aus übers Wandern, den Garten und die Einkaufsfahrten der Berliner nach Polen und zurück. Die Zeit vergeht so wie im Flug und schon sitze ich bequem im Bus nach Bad Freienwalde. Den endgültigen Plan schmiede ich erst beim x-ten Male studieren der Karte: Per Zufall entdecke ich die Worte „Naturcamp Triangel“ etwas nordwestlich von Bad Freienwalde, was meiner Zielrichtung mehr entspricht. Da ich grad genug Netz für eine Suchmaschine habe, finde ich raus, dass es tatsächlich auch ein Zeltplatz ist, nicht nur Veranstalter o.ä.. Was ich auf der Homepage lese, bestärkt mich, genau dorthin zu gehen. Wild zelten wäre schön, aber in der Nähe von Menschen zu sein, die dir ggf. medizinisch oder mit einem Transport helfen können, auch. Merkt ihr, meine lieben LeserInnen, wie ich älter geworden bin? 😉 Nix mehr mit Augen zu und durch, die Dame hört mittlerweile auf die Zeichen des Körpers. Manchmal zumindest 😀

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Schweiß auf den letzten 3 Kilometer

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Quark für die entzündeten Füße: Hilft mega!

Also in Bad Schießmichtod nochmal in den Zug, zwei Stationen bis Niederminow, zwei Blasenpflaster an die kleenen Zehen gegen die Reibung und nochmal 3 km Straße (…) in der mittlerweile brennenden Sonne (…) bis zum Naturcam gelaufen. Der Rest ist Geschichte – toller Platz mit super hilfsbereiter und engagierter Kollektiv-Führung, gutes Essen, Quark-Packung für meine Füße, Kanal sunset watching mit Bieber als Zugabe – und doch fängt grade eine neue an. Denn, werd ich so wirklich weiterlaufen können?!? Diesmal ist es ein richtiger Cliffhänger 😀

Gelaufene Kilometer: 13,4 km

Motto des Tages: Wer nicht inne hält, kommt nicht voran.

Montag, 7. August, 3. Tag: An dem ich mit Mücken, dem Weg und meinen Füßen sprach

Manch einer wird schon ahnen, dass der Tag nicht ganz so lief wie geplant. Und wo wir grade beim Thema sind: Das Netz hier ist überall zu schwach, die Kombi aus Tablet und App und Handy und Internet und Foto etc funktioniert auch so überhaupt gar nicht! Diesen verflixten 3. Tag (und es sind oft die dritten, die die Knackpunkt-Tage sind) hatte ich schon komplett beschrieben und bebildert, wunderschön natürlich, mit Witz und Esprit, eloquent und tiefsinnig, anregend und spannend – wie immer also 😉 Fragt mich nicht wie, aber kurz vor der entscheidenden Veröffentlichung: alles weg! Und bisher nicht wieder auffindbar. 😦 😦 😦

Daher müsst ihr euch mit kurzen Fakten und ein Foto vom Handy begnügen. Zu mehr fehlt mir jetzt leider endgültig der Nerv.

Gespräch mit den Mücken: Boah ey, ihr seid so Assis! Ob ihr mich verarschen wollt! Echt jetzt! Weg mit euch, weg weg weg! (Eine Methode,ihren Stichen zu umgehen, da Stillstand gleich Mückenbefall ist: Beim Karte lesen im Kreis laufen… Aber Achtung! Brennesseln am Rand!)

Gespräch mit DEM Weg (kurz vor dem Ende, als ich schon fix und fertig war,weil 30 km gewandert und kein gutes Gefühl in den Füßen; starr geradeaus und stetig leicht nach oben führend, Boden hart wie Kruppstahl obwohl im Wald; etwa 2,5 km lang): Komm schon,ehrlich?! Immer noch hoch? Ich denk hier ist alles flach! Ach man, why you’re not smooth and funny like the other ways were? Why you are so hard to me?“ (Ja, ich sprach laut, und ja, ich verfiel zwischenzeitlich in englisch. Aber: Als der Weg endete, dankte ich ihm auch artig und machte reale Luftsprünge)

Freude über den neuen, soften Weg – meine Laune hielt nur so lange, weil ich mit Musik lief (nach einem Tiefpunkt in der Mitte des Tages, die Tetris-Theme riss mich raus :D), zur Musik tanzte (z.B. Roboter Style) und das ein oder andere Mal herzlich mitsang

Gespräch mit meinen Füßen: „Es tut mir so leid! Ganz ehrlich. Ich wollte einen gemütlichen Tag machen, aber irgendwie… Tut mir wirklich leid meine lieben Füße. Ihr seid so tapfer! Irre. Das muss man erstmal durchhalten, ehrlich, ihr schafft das! Ist auch gar nicht mehr lang. Meine lieben Füße, danke dass ihr das durchhaltet!“ (Als ich endlich ankam auf dem Campingplatz am Gamensee, sahen sie auch wirkt richtig fies rot und geschwollen aus. Nicht gut :/)

Gelaufene Kilometer: 34,5 km (…)

Motto des Tages: Ohne Tetris wäre das Leben nur halb so schön

Wichtiges PS: Nicht dass ihr denkt es war furchtbar! Es war trotz der zwischenzeitlichen Tiefs und zu langer Strecke ein richtig schöner Tag – am Ende sind sie das doch irgendwie alle 🙂

Samstag, 5. August, Tag 1: Stadt, Land, Fluss

Aber vor allem Stadt. Viel Stadt. Große Stadt. Verwirrende Stadt. Nur der Fluss hält mich im Fluss, also des Laufens. Ohne Landwehrkanal und Spree wäre der Weg raus aus Big City Berlin nicht halb so einfach geworden. Und ich fand ihn noch nicht mal einfach.

Einfach war dagegen schon am Freitag spätabends die Anreise: Nach vier Tagen auf dem Wasser (im Canadier und auf selbst gebautem Floß) und einem dreiviertel Tag im Zug von Regensburg in die Hauptstadt, genoss ich zwar den 30 minütigen Spaziergang zum Hostel. Merkte aber gleich dass dieser Tourstart eine andere Symbolik, auch eine andere Schwere trägt (so freudig der Anlass Hochzeit auch ist): Auf dem Mauerweg laufe ich vorbei am Gedenkstein für das erste Opfer der Mauer, Günter Litfin (24 Jahre alt geworden), unter den Brücken stehen, sitzen und liegen diejenigen unsere Gesellschaft, die viele von uns versuchen aus ihrem Blick zu verdrängen, während nebenan die laute Dancemusik durch die flackernd bunte Nacht dröhnt, junges pulsierendes Leben neben Armut und tragischer Geschichte – am Bundestagsgebäude schaue ich eine Weile der Licht- und Filmshow zu, die ziemlich beeindruckend die Geschichte vom Reichs- zum Bundestag zeigt.

Berlin lebt echt zu jeder Zeit, lebt die sich an jeder Ecke spürbare Geschichte und gleichzeitig die einem ins Gesicht springende  Gegenwart auch morgens um 7 Uhr: Am Checkpoint Charlie mit seinen Infotafeln von Mauerbau bis Kubakrise vorbei, höre ich aus einigen Gebäuden noch die Tanzgeräusche der Nacht; zwischen neun und zehn sehe ich einige BerlinerInnen mit dem letzten, oder auch dem ersten Bier. Und ich so nebendran versuche unauffällig mit Wanderstock durch die Straßen zu kommen. Mein Tourenplaner schlug bei der Planung meiner Tour mal wieder einen Europafernwanderweg vor…

Mit denen, Leser der letzten Blogbeiträge erinnern sich vielleicht,  habe ich eigentlich keine guten Erfahrungen gemacht. Aber gut, so richtig lernfähig was die Wahl meiner Wanderwege angeht war ich eigentlich auch nie, daher probier ichs erneut: Das erste Mal entdecke ich das Zeichen des E11 nach über 12 km… Dass ich bis dahin ein paar Extrakilometer gemacht habe, ist ja wohl klar – mit einer Wanderkarte ohne Straßennamen lässt sich in der Stadt tatsächlich doch eher schlecht navigieren 😉 Die Strecken an Landwehrkanal und Spree entlang sind daher meine Rettung und ich schaffe es irgendwann bis zur Wulheide. Kannte ich diese bisher nur als genialen Konzert-Veranstaltungsort, so bin ich jetzt überrascht von der Ausgestaltung des Parks drumherum und mache im Wald eine fruchtig-bunte Quark-Pause bei einem Stand vor dem Erlebnis- und Familienzentrum.

Irgendwann hier beschließe ich, meinen Plan ab hier direkt nördlich/nordöstlich dem E11 weiter zu folgen,  aufzugeben. Ich entdecke einen Campingplatz ganz am Ende einer Landzunge direkt in einer Bucht. Das sieht so verlockend aus, ich will dahin! Doch die Tour durch die Stadt haben das Tagespensum schon annähernd voll gemacht, die immer schwüler werdenden Temperaturen und der Asphalt fordern Tribut – zum Laufen ist mir der Platz heute zu weit.  Ich bin ja schließlich im Urlaub 🙂

Also nehme ich für vier Haltestellen den Bus, und jetzt sag mal jemand was gegen die Berliner Freundlichkeit: Der junge Busfahrer winkt mich einfach so durch! Jawoll, war das doch wieder mal die richtige Entscheidung 🙂 In wenigen Minuten, wandernd hätte ich sicher eineinhalb Stunden gebraucht, bin ich in Müggelsheim. An der Bushaltestelle frage ich eine Oma nach einer Einkaufsmöglichkeit. Sie bedauert so sehr, dass ich ein Stück zurücklaufen muss, dass sie mir ihre Tüte mit Tomaten und Bananen geben möchte – so süß! Am Ende gehe ich zwar ohne Vitamine, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Ihre Frage zu mir: Wie nennt man das eigentlich, was sie da machen? 😀

Es sind noch mal gut drei Kilometer durch einen französisch anmutenden Kiefernwald bis ich endlich am Campingplatz Große Kampe (nach gleichnamigen Fluss) angelangt bin…dröhnende Musik empfängt mich – es ist Fährmannfest. Mir schwarmt schlimmes, und tatsächlich, der Platzwart sagt: „Oh, sie haben nicht reserviert? Schlecht. In den Ferien ist hier immer alles ausgebucht und wir haben ja nur kaum zehn Stellplätze.“

„Aber Sie haben Glück, dass vorhin einer abgesagt hat.“ Man man man, auf das kann ich mich doch wirklich fast immer verlassen. Und der Platz lohnt den Besuch und den Umweg, den ich in Kauf nehme: Mitten in der Natur liegt der kleine, tatsächlich ehrenamtlich (!) geführte und super saubere Platz, günstig ist er auch, die Wiese auf der Landzunge direkt an der Badestelle gehört uns wenigen Zeltern. So kann eine Tour starten.

Netter Sidekick: Am Strand bauen Kids ein Floß, ähnlich wie ich noch vor nur zwei Tagen 🙂

Nette Begegnung während meines gemütlichen Abendausklangs am Wasser: Die 4-jährige Leila backt mir „Streuselkuchen“ (…), nachdem wir eine halbe Stunde einfach schweigend zusammen jeder für sich die Zeit genossen (und sie jede fünf Minuten näher an mich auf das Wasser starrende Wesen ran rückte), sagt dass „Marie“ ein schöner Name für meine Oma wäre, malt in mein Tagebuch und erzählt, dass ihr Opa der Platzwart ist. Ihre große 10-jährige Schwester Nicki kommt später dazu und ist ganz schön aufgeweckt. Unser Plan auf den Spielplatz (mit Schaukel!) zu gehen, wird leider durch die „unbeliebt strenge“ Oma durchkreuzt.

Die beiden müssen ins Bett, ich starre weiter aufs Wasser. Bis auf die krass lauten Flugzeuge von Berlin Schönefeld hier, war dieser Tag ein wirklich ziemlich guter Start für meinen Hochzeitsmarsch. Mal sehen, wie ich morgen weiter laufe, jetzt wo der Plan so richtig schön bereits nach einem halben Tag über den Haufen geworfen wurde 🙂

Gelaufene Kilometer: ca. 26 km

Motto des Tages: Ich kann mit Kindern – zumindest ihnen heimlich eine Schokowaffel und zwei Chips geben obwohl die Großeltern das verbieten 😉

Samstag, 28. Mai, Tag 19, der letzte Tag: Ein Blumenstrauß von Opa

Es ist immer der schwerste Beitrag, der letzte. Und es war auch ein schwerer Tag, der letzte. Zwischenzeitlich musste ich mich echt fragen, ob ich überhaupt ankomme an meinem Ziel auf dem Hasselberg. Dort ankomme, wo mein Opa vor über 70 Jahren aus dem Krieg heimkehrte, zu Fuß aus Solingen durchgeschlagen, von den Kindern freudig schreiend empfangen: „Der Helmut kehrt z’rück!“ Mir ist diese gewaltige Strecke, die ich völlig unterschätzt habe, unfassbar schwer gefallen am Ende. Wie schwer muss es erst für den damals 17 jährigen Opa gewesen sein, der als Fahnenflüchtiger versuchte, durch eine (Nach-)Kriegslandschaft nach Hause zu finden – ohne Karte, ohne alles? Ich kann es mir nicht vorstellen, auch nicht, als ich nach ewig langen Kilometern über seinem Heimatdorf stehe…

Erst heute, am Sonntag (29. Mai), wo ich daheim in meiner Wohnung in Frankfurt, diesen Bericht verfasse – habe ich vorgestern wirklich noch kleingekauert in meinem trauten Zelt irgendwo im Spessart auf meinem Tablet geschrieben?! -, erste heute zähle ich die Kilometer zusammen, die ich in den letzten 19 Tagen von Solingen zum Hasselberg gelaufen bin. Es überrascht euch vielleicht nicht, und eigentlich sollte es auch mich nicht überraschen. Tut es aber. War ich von um die 380 Kilometer ausgegangen? … Ja klar, ich habe Umwege gemacht, hab mich verlaufen, verirrt und bin wieder auf den richtigen Weg zurück gekommen; habe nicht immer die direkte Route gewählt, sondern vielleicht eine schönere, habe den Streckenverlauf insgesamt angepasst und geändert wie es gerade passte. Aber 456 Kilometer? Das haut mich doch ein wenig um, passt aber zu dem Gefühl, das mich die letzten Tage begleitet hat.

Ich habe lange überlegt, wie ich diesen letzten Tag beschreibe. Ehrlich gesagt, habe ich mich heute auch schon eine ganze Weile erfolgreich davor gedrückt, und ich ehrlich gesagt, weiß ich es immer noch nicht. Gerne würde ich euch jedes Detail des tatsächlichen Wegs – vom Stellplatz in Rothenbuch bis nach Hasselberg (fast 30 Kilometer am Ende…) – schildern:

Die Höhen und Tiefen meiner emotionalen Achterbahn, die Freude am Laufen, und das Verfluchen des Laufens, das gedankenschweifende Dahingehen, und den Schmerz eines jeden Schrittes, den ich bewusst wahrnahm; jeden verdammten Anstieg, jede nicht enden wollende Geradeausstrecke, jedes Bergabgehen, jede der gewaltigen Buchen und Eichen am Wegesrand, jedes Flüsschen, sogar die abgeholzte Fläche um die A3 herum und das merkwürdige Gefühl, über der Autobahn zu stehen beziehungsweise unter ihr durchzulaufen, die mich sonst mit dem Auto zu meinen Großeltern bringt; die wunderschönen Wiesen mit dem Blick ins weite Land, jeden Sonnenstrahl, der durch das Blätterdach der ursprünglichen Wälder fiel, die Anstrengung, die es mich kostete, auf den Gipfel zu kommen, und die Leichtigkeit, danach weiterzugehen; das Empfinden beim Blick auf die vielen Wegweiser, die anzeigten, wie weit es doch noch ist, immer noch!, die Groll, über mich selbst, dass ich den Weg von Alzenau bis zum Ziel so unterschätzt habe, die schmerzenden Füße, das Frustriertsein über die Tatsache an sich und den ganzen Schweiß, der mir bei gefühlten 100% Luftfeuchtigkeit über den ganze Körper rann, dann den Punkt, wo die Verzweiflung in Blödelei umschlug und ich bei einem der letzten 3 Kilometer langen Anstiege anfing laut zu singen, und es danach einfach wieder lief, die Freude an der Schönheit der Landschaft, die Freude an drei Wochen Erlebnis, an drei Wochen Unterwegssein…

Und am Ende das Gefühl, das ich hatte, als ich endlich endlich endlich einen Wegweiser fand, auf dem HASSELBERG stand. Erst 2 Kilometer, bevor ich tatsächlich ankam.

Doch die ausführliche Beschreibung dieses Wandertags, die Erzählung des Wegs, die kann ich euch nicht mehr so geben (am Beitragsende in Bildern). An diesem letzten Tag überwiegen einfach andere Dinge, das Ankommen ist für mich immer etwas sehr spezielles. Und dieses Mal hat es gleich zwei Komponenten: Das Ende der symbolischen Wanderung für meinen Opa, das gleichzeitig das Ende meiner Spendenwanderung bedeutet.

Es war das erste Mal, dass ich eine Wandertour mit dem Sammeln von Spenden verknüft habe. Und ich hatte Zweifel, nicht an dem Projekt oder dem Sinn, sondern wie es aufgenommen wird und wie es Anklang findet. Nun, am Ende angekommen, habt ihr zusammen 825 Euro gespendet. Auch das muss ich erst einmal sacken lassen. Ich freue mich darüber im Herzen so sehr, ich kann gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich für jeden Euro bin, mit dem ihr Hilfe in die beiden nepalesischen Bergdörfer bringt. Vielen vielen Dank! Ich werde die Spendenaktion „Ich wandere, ich blogge, du spendest – für Nepal“ noch bis Montagabend offen lassen. Und dann selbst meinen Teil dazu beitragen.

Ich habe euch von dem Schild erzählt, auf dem ich das este Mal „Hasselberg“ lesen konnte. Bis dahin war ich am Samstag schon 27 Kilometer gelaufen, hatte einen anstrengenden, steilen Anstieg auf den Bayerskopf (523 m Höhe) hinter mir und mehrere lange Anstiege auf Kiesstraßen unter den Wandersohlen. Als ich dieses kleine Holzschild am Anfang von einem schmalen Pfad entdeckte, lachte ich auf: Kurz vorher hatte man mir gesagt, der kleine Schleichpfad von der Kartause in Grünau hoch auf den Hasselberg, den würde es nicht mehr so geben, der würde nicht mehr benutzt werden, der wäre nicht mehr gut zu begehen, wenn überhaupt, und wer weiß, ob ich den so finden würde…

Doch es gab ihn noch, und ich fand ihn, und obwohl ich wusste, dass es noch mal ziemlich steil bergauf gehen sollte, obwohl ich es sah – lachte ich. Es war befreiend. Zu wissen, dass ich jetzt wirklich ankomme. Dass es nicht mehr weit ist, egal wie steil, hauptsache nicht mehr weit! Es war steil, es war anstrengend, ich schwitze ehrlich gesagt wie ein Schwein, doch ich lief diesen letzten gewundenen Pfad (traumhaft schön übrigens durch den Wald und gelegentlich mit Steintreppen gestützt) mit Freude, ohne Schmerz, ohne das gehetzte Gefühl, endlich ankommen zu wollen.

Oben angekommen, aus dem Wald raus, der erste Blick aufs Dorf: Hasselberg. Ziel. Ende. Da war erst einmal nichts. Ich verdrängte den Gedanken, dass ich jetzt wirklich da bin, angekommen im Heimatdorf meines Opas, nur wenige Kilometer oberhalb des Wohnorts meiner Großeltern. Das erste, was ich machte, war auf einem Spielplatz meinen Rucksack abzusetzen und auf die Schaukel zu gehen, die dort war. Das Schaukeln half mir, den Gedanken an die Ankunft noch ein kleines bisschen in den Hintergrund zu drängen, und die Freude darüber heraufzuholen!

Doch wirklich angekommen fühlte ich mich erst, als mein Opa aus dem Auto meines Vaters stieg, und mir einen Blumenstrauß aus dem eigenen Garten überreichte. In dem Moment war es mir gar nicht so bewusst, wie jetzt, wo ich diesen Satz schreibe, ihn nochmal lese. Mein Opa begrüßt mich in seinem Heimatdorf mit Blumen. Heute, einen Tag später, habe ich Tränen in den Augen bei dem Gedanken daran.

Angekommen

Angekommen

Die Stunden danach – Kuchen von der Oma :-), Besuch der Schwester meines Opas, die in Hasselberg noch im Haus der Eltern wohnt, Abendessen bei den Großeltern, Heimfahrt in die Stadt – kein Gedanke an das, was ich erlebt habe und was ich wieder dazu gelernt habe in den letzten 19 Tagen. Die kommen jetzt, beim Schreiben, und daher wird es Zeit, Abschied zu nehmen und Danke zu sagen:

Ich wander gerne alleine, weil ich dann Menschen treffe und auf eine Art kennenlerne, wie sie mir sonst nicht möglich wären. Weil ich dann die Lanschaft um mich herum anders wahrnehme. Weil ich das Wandern, das Laufen intensiver leben kann. Weil ich dann den Kopf frei kriege, die Gedanken schweifen und wieder sammeln kann. Weil ich dann noch mehr das wahrnehme, was ich erlebe.

Und denoch – die letzten Wochen wären nichts:

Ohne Euch, die ihr mir auf meinem Weg begegnet seid, die ihr mir geholfen habt, einfach so!, und in nur kurzer Zeit so ans Herz gewachsen seid und in ewiger Erinnerung bleibt!

Ohne Euch, die ihr mit mir gelaufen seid, ob einen Tag oder drei, ob mit Übernachtung im Zelt, im Wohnwagen oder ohne; ihr habt meine Wanderung vollständig gemacht!

Ohne Euch, die ihr meine Tour verfolgt habt, dabei mit mir gelitten oder gelacht oder euch mir mir gefreut habt; meine Erlebnisse mit Euch zu teilen, eure Reaktionen zu lesen/hören/spüren, dass macht sie für mich noch intensiver!

Euch allen sei an dieser Stelle gesagt: VIELEN VIELEN DANK aus allertiefstem Herzen!

Eure Hanna

OLYMPUS DIGITAL CAMERAZiel erreicht nach 456 Kilometern und 19 Tagen: Erschöpft, aber erleichtert

 

Der letzte Wandertag, 28. Mai, Rothenbuch – Hasselberg (28,8 km geschätzt) in Bildern:

Nach kurzem Anstieg aus Rothenbuch raus - auf dem Hasenstabweg über eine schöne Wiesenebene

Nach kurzem Anstieg aus Rothenbuch raus – auf dem Hasenstabweg über schöne Wiesenebene

Da freu ich mich noch richtig über Sonne, Wärme und den kommenden Wandertag

Da freu ich mich noch richtig über Sonne, Wärme und den kommenden Wandertag

Über gemütliche Wege durch den sonnendurchfluteten Wald kann ich mich wieder freuen

Über gemütliche Wege durch den Sonnen durchfluteten Wald kann ich mich wieder freuen

Über ein sumpfiges Wiesental zwischen zwei Wäldern und den Fluss führt ein Holzsteg

Über ein sumpfiges Wiesental zwischen zwei Wäldern und den Fluss führt ein Holzsteg

Der Spessart zeigt sich von seiner schönsten Seite

Der Spessart zeigt sich von seiner schönsten Seite

Schön ist er der Spessart, aber auch steil: Nach Kilometer langem Anstieg über einen breiten Schotterweg, ein süßer kleiner Pfad...

Schön, aber auch steil: Nach ewig langem Anstieg auf breitem Schotter- weg, ein süßer kleiner Pfad…

...der mich zwar freut...

…der mich zwar freut…

...aber auch ganz schön fies ist...

…aber auch ganz schön fies ist…

...und ganz schön ins Schwitzen bringt.

…und ganz schön ins Schwitzen bringt.

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Doch danach geht es wieder gemütlicher weiter

Da bin ich noch im Stadium - wie schön es ist, unterwegs zu sein!

Da bin ich noch im Stadium – wie schön es ist, unterwegs zu sein!

Dann kommt eine ewig lange Strecke so was - mental für mich schwer zu verkraften heute, auch die Füße protestierten langsam

Dann kommt eine ewig lange Strecke so was – mental für mich schwer zu verkraften heute, auch die Füße protestierten langsam

Als ich die A3 passiere, habe ich in etwa die Hälfte geschafft...

Als ich die A3 passiere (führt unter der Brücke im Bild lang), habe ich knapp die Hälfte geschafft…

...bin aber ziemlich erledigt, habe nur doch das zum Essen und 250 ml Wasser.

…bin aber ziemlich erledigt, habe nur doch das zum Essen und 250 ml Wasser.

Kontrast zwischen den gewaltigen Buchen und Eichen im Naturschutzgebiet Rohrberg und...

Kontrast zwischen den gewaltigen Buchen und Eichen im Naturschutzgebiet Rohrberg und…

...dem Zeitalter der Moderne: Der Wanderweg führt kurz danach unter der Autobahnbrücke hindurch

…dem Zeitalter der Moderne: Der Wanderweg führt kurz danach unter der Autobahnbrücke hindurch

Man sieht es vielleicht nicht, aber dieser Weg führt 3 km aufwärts - einer der Momente, wo ich fast verzweifel

Man sieht es vielleicht nicht, aber dieser Weg führt 3 km aufwärts – einer der Momente, wo ich fast verzweifel

Grenzenlose Freude, nach eeeewigem Anstieg endich Scholllbrunn erreicht zu haben

Um kurz darauf in Blödelei zu verfallen und mich grenzenlos zu freuen, als ich danach endlich Schollbrunn erreiche

Zwischen Schollbrunn und diesem Schild lagen noch 3-4 km, doch dann - das erste Mal ist Hasselberg ausgeschildert!

Zwischen Schollbrunn und diesem Schild lagen noch 3-4 km, doch dann: das erste Mal ist Hasselberg ausgeschildert!

Steil, dafür aber der kürzeste Weg!

Steil, dafür aber der kürzeste Weg!

Und schön!

Und schön!

Erster Blick auf Hasselberg (wenn ich auch von einer anderen Seite in das Dorf gelange als mein Opa damals)

Erster Blick auf Hasselberg (wenn ich auch von einer anderen Seite in das Dorf gelange als mein Opa damals)

Angekommen - glücklich!

Angekommen – glücklich!