Samstag, 5. August, Tag 1: Stadt, Land, Fluss

Aber vor allem Stadt. Viel Stadt. Große Stadt. Verwirrende Stadt. Nur der Fluss hält mich im Fluss, also des Laufens. Ohne Landwehrkanal und Spree wäre der Weg raus aus Big City Berlin nicht halb so einfach geworden. Und ich fand ihn noch nicht mal einfach.

Einfach war dagegen schon am Freitag spätabends die Anreise: Nach vier Tagen auf dem Wasser (im Canadier und auf selbst gebautem Floß) und einem dreiviertel Tag im Zug von Regensburg in die Hauptstadt, genoss ich zwar den 30 minütigen Spaziergang zum Hostel. Merkte aber gleich dass dieser Tourstart eine andere Symbolik, auch eine andere Schwere trägt (so freudig der Anlass Hochzeit auch ist): Auf dem Mauerweg laufe ich vorbei am Gedenkstein für das erste Opfer der Mauer, Günter Litfin (24 Jahre alt geworden), unter den Brücken stehen, sitzen und liegen diejenigen unsere Gesellschaft, die viele von uns versuchen aus ihrem Blick zu verdrängen, während nebenan die laute Dancemusik durch die flackernd bunte Nacht dröhnt, junges pulsierendes Leben neben Armut und tragischer Geschichte – am Bundestagsgebäude schaue ich eine Weile der Licht- und Filmshow zu, die ziemlich beeindruckend die Geschichte vom Reichs- zum Bundestag zeigt.

Berlin lebt echt zu jeder Zeit, lebt die sich an jeder Ecke spürbare Geschichte und gleichzeitig die einem ins Gesicht springende  Gegenwart auch morgens um 7 Uhr: Am Checkpoint Charlie mit seinen Infotafeln von Mauerbau bis Kubakrise vorbei, höre ich aus einigen Gebäuden noch die Tanzgeräusche der Nacht; zwischen neun und zehn sehe ich einige BerlinerInnen mit dem letzten, oder auch dem ersten Bier. Und ich so nebendran versuche unauffällig mit Wanderstock durch die Straßen zu kommen. Mein Tourenplaner schlug bei der Planung meiner Tour mal wieder einen Europafernwanderweg vor…

Mit denen, Leser der letzten Blogbeiträge erinnern sich vielleicht,  habe ich eigentlich keine guten Erfahrungen gemacht. Aber gut, so richtig lernfähig was die Wahl meiner Wanderwege angeht war ich eigentlich auch nie, daher probier ichs erneut: Das erste Mal entdecke ich das Zeichen des E11 nach über 12 km… Dass ich bis dahin ein paar Extrakilometer gemacht habe, ist ja wohl klar – mit einer Wanderkarte ohne Straßennamen lässt sich in der Stadt tatsächlich doch eher schlecht navigieren 😉 Die Strecken an Landwehrkanal und Spree entlang sind daher meine Rettung und ich schaffe es irgendwann bis zur Wulheide. Kannte ich diese bisher nur als genialen Konzert-Veranstaltungsort, so bin ich jetzt überrascht von der Ausgestaltung des Parks drumherum und mache im Wald eine fruchtig-bunte Quark-Pause bei einem Stand vor dem Erlebnis- und Familienzentrum.

Irgendwann hier beschließe ich, meinen Plan ab hier direkt nördlich/nordöstlich dem E11 weiter zu folgen,  aufzugeben. Ich entdecke einen Campingplatz ganz am Ende einer Landzunge direkt in einer Bucht. Das sieht so verlockend aus, ich will dahin! Doch die Tour durch die Stadt haben das Tagespensum schon annähernd voll gemacht, die immer schwüler werdenden Temperaturen und der Asphalt fordern Tribut – zum Laufen ist mir der Platz heute zu weit.  Ich bin ja schließlich im Urlaub 🙂

Also nehme ich für vier Haltestellen den Bus, und jetzt sag mal jemand was gegen die Berliner Freundlichkeit: Der junge Busfahrer winkt mich einfach so durch! Jawoll, war das doch wieder mal die richtige Entscheidung 🙂 In wenigen Minuten, wandernd hätte ich sicher eineinhalb Stunden gebraucht, bin ich in Müggelsheim. An der Bushaltestelle frage ich eine Oma nach einer Einkaufsmöglichkeit. Sie bedauert so sehr, dass ich ein Stück zurücklaufen muss, dass sie mir ihre Tüte mit Tomaten und Bananen geben möchte – so süß! Am Ende gehe ich zwar ohne Vitamine, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Ihre Frage zu mir: Wie nennt man das eigentlich, was sie da machen? 😀

Es sind noch mal gut drei Kilometer durch einen französisch anmutenden Kiefernwald bis ich endlich am Campingplatz Große Kampe (nach gleichnamigen Fluss) angelangt bin…dröhnende Musik empfängt mich – es ist Fährmannfest. Mir schwarmt schlimmes, und tatsächlich, der Platzwart sagt: „Oh, sie haben nicht reserviert? Schlecht. In den Ferien ist hier immer alles ausgebucht und wir haben ja nur kaum zehn Stellplätze.“

„Aber Sie haben Glück, dass vorhin einer abgesagt hat.“ Man man man, auf das kann ich mich doch wirklich fast immer verlassen. Und der Platz lohnt den Besuch und den Umweg, den ich in Kauf nehme: Mitten in der Natur liegt der kleine, tatsächlich ehrenamtlich (!) geführte und super saubere Platz, günstig ist er auch, die Wiese auf der Landzunge direkt an der Badestelle gehört uns wenigen Zeltern. So kann eine Tour starten.

Netter Sidekick: Am Strand bauen Kids ein Floß, ähnlich wie ich noch vor nur zwei Tagen 🙂

Nette Begegnung während meines gemütlichen Abendausklangs am Wasser: Die 4-jährige Leila backt mir „Streuselkuchen“ (…), nachdem wir eine halbe Stunde einfach schweigend zusammen jeder für sich die Zeit genossen (und sie jede fünf Minuten näher an mich auf das Wasser starrende Wesen ran rückte), sagt dass „Marie“ ein schöner Name für meine Oma wäre, malt in mein Tagebuch und erzählt, dass ihr Opa der Platzwart ist. Ihre große 10-jährige Schwester Nicki kommt später dazu und ist ganz schön aufgeweckt. Unser Plan auf den Spielplatz (mit Schaukel!) zu gehen, wird leider durch die „unbeliebt strenge“ Oma durchkreuzt.

Die beiden müssen ins Bett, ich starre weiter aufs Wasser. Bis auf die krass lauten Flugzeuge von Berlin Schönefeld hier, war dieser Tag ein wirklich ziemlich guter Start für meinen Hochzeitsmarsch. Mal sehen, wie ich morgen weiter laufe, jetzt wo der Plan so richtig schön bereits nach einem halben Tag über den Haufen geworfen wurde 🙂

Gelaufene Kilometer: ca. 26 km

Motto des Tages: Ich kann mit Kindern – zumindest ihnen heimlich eine Schokowaffel und zwei Chips geben obwohl die Großeltern das verbieten 😉

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2 Kommentare

  1. Wenn deine Kommentare jeder lesen würde, könnte die Welt definitiv ein bischen besser werden. Also Leute lest. Papa

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