Puh, was ein Tag! Er war lang und anstrengend und überwältigend schön! So schön und so vielseitig, dass es mir sogar jetzt noch, zwei Tage später, schwer fällt, ihn in angemessene Worte zu quetschen. Ich fange einfach mal an und schaue, was rausflutscht.
Nach ein wenig Sights Seeing und gutem Abendessen im gemütlichen Egerländer Hof am Vorabend, sind mein Papa und ich früh wach – und gehen doch erst um halb zehn los, nachdem wir eine Extrarunde zum etwas weiter weg als gedacht (erinnert euch an meine Worte: Es ist immer ein bisschen weiter als gedacht!) abgestellten Auto drehen, um unnötigen Balast aus meinem Rucksack loszuwerden. Diese vier Kilometer zähle ich mal bewusst nicht mit zu den heute zurückgelegten… Trommelwirbel… 38 bis 40 Kilometern, Paukenschlag! Damit schlage ich die bisherige Rekordstrecke aus dem Frankenwald (sorry Torben ;-))…

Ich will euch die Karten nicht vorenthalten, mit der wir navigiert haben: Eine fast auseinanderfallende alte Übersichtskarte des Egertals von meiner Oma (Datum unbekannt)…
Der Vorteil der Ehrenrunde durch Karlovy Vory, wir können den direkten Weg zur Eger (tschechisch Ohře) einschlagen und wursteln uns mit einem Touristenstadtplan durch die Häuser beziehungsweise über die Stadt hinweg. Einfache Taktik: Immer Richtung Osten (für Laien „rechts“), dann Richtung Norden („links“), dann wieder rechts und so weiter. So sind wir erstens direkt auf Betriebstemperatur, da es hoch über Karlsbad hinweg geht, um dann hinab zur gen Osten fließenden Eger zu gelangen, und zweitens haben wir zügig den Fluss erreicht und uns einem Umweg durch die Innestadt erspart.
Sogleich darf ich stolz anmerken: Mein Papa und ich, ein gutes Team! Am Wasser stoßen wir auf eine Brücke, an der wir intuitiv eine Uferseite wählen. Dort stoßen wir wiederum zufällig auf meinen altbekannten E3 (!), der hier nach Norden abzweigt, um dann irgendwann südlich nach Bulgarien ans Schwarze Meer zu gelangen. Wir überlegen kurz, diesem ein Stück zu folgen (nach Ostrov nad Ohří, was in etwa auf unserer Strecke in die Heimat meiner Oma liegen würden, aber eben etwas zu weit nördlich), entscheiden uns aber dagegen und begeben uns lieber auf das „unsichere Terrain“, sprich wir versuchen unser Glück an der Eger und hoffe einfach, dort einen Weg zu finden. Und deswegen kann ich im Nachhinein sagen: Vater-Tochter-Team 100 Punkte!
Denn der zunächst als Radstrecke am Fluss entlang führende Weg, wird – nach einem kurzen Schlenker weg von der Eger durch eine kleine Ortschaft – zu einem wunderschönen Pfad, der uns entweder durch den am Uferrand befindlichen Wald führt oder direkt am Wasser entlang. Die Sonne lächelt unserem Glück zu und glitzert durch das Blätter- beziehungsweise Nadeldach und bestrahlt das meist ruhig dahinplätschernde Wasser, auf dem ab und an Kanuten ihre Wellen schlagen. Wir freuen uns riesig über diesen unerwartet leicht gefundenen Weg und ich beschließe zum ersten, aber nicht zum letzten Mal an diesem Tag, der Touristeninfo in Karlsbad eine bitteröse Email zu schreiben, dass sie gefälligst ihr Wanderwissen über ihre Umgebung auf Vordermann zu bringen haben!
Na gut, wir freuen uns ein bisschen zu früh. Vielleicht. Und die Touriinfo hat auch nicht gaaanz so unrecht gehabt. Vielleicht. Und der Weg wird dann doch nach den ersten Kilometern zu einem eher Nicht-Weg. Vielleicht. Aber macht das dem tapferen Anführer was aus? Vielleicht. Nicht!!! 🙂
Wir kommen zum abenteuerlichsten Abschnitt des Tages, der Reise nach Tschirnitz, der Wanderungen meinerseits überhaupt – und es er macht einen Riesenspaß! Irgendwann hört der Pfad am Fluss einfach auf, nein, eigentlich geht er über in eine sagen wir mal Schleichweg. So was, was Tiere hinterlassen, wenn sie durch hohe Wiesen, durchs Dickicht oder Gebüsch laufen. Man sieht, da wird eine Spur ab und an benutzt. Dieser Spur folgen wir also am Fluss entlang, dann mal vom Ufer weg durch waldähnliches Gestrüpp auf den Hügel, über Felsen und Wurzeln und über Baumstämme und unter Baumstämmen und durch Brennnesseln (ja, ich trage ob der Hitze kurze Hosen, fatal…) und an schrägen Hängen entlang und und und.
Irgendwann ist auch die zu erahnende Spur nicht mehr auszumachen. Es fehlt nur noch die Machete in der Hand meines Vaters und ich würde mich wie auf Expedition durch den Dschungel Südamerikas fühlen: Die Haare kleben schweißnass in meinem Gesicht, meine Arme und Beine und der Nacken ist schmutziger als jeder meiner dreckigen Wandersocken der letzten drei Wochen, beide Shirts kleben babbig unter dem Rucksack an meinem Rücken und den Hüften.

Die extremen Stellen konnte ich nicht ablichten, ich hatte alle Hände voll zu tun, mir den Weg frei zu machen oder nicht abzurutschen. Ein Riesenspaß! 🙂
Ja, ab und an kommt der Gedanke der Angst auf, dass Papa oder ich ausrutschen könnten, stolpern, umknicken, irgendwo runter schlittern. Und sich verletzen könnten. Oder dass wir uns den ganzen Weg, die irgendwann mal geschätzen 32 Kilometer im Minimum zum Hof in Tschirnitz, so durchkämpfen müssen. Dann kämen wir nie an.
Aber überwiegen tut die Aufregung, die Freude an dem Abenteuer, die Spaß an dem Kampf, an dem Wegsuchen, sich einen Weg bahnen, wo keiner ist! Sich einen Weg bahnen, wo keiner ist.
Und natürlich schaffen wir es, das hier ist schließlich mehr komödiantische Epik als tragödische Novelle, raus aus dem egerländischen Dschungel: In der letzten Stunde haben wir wahrscheinlich nur zwei Kilometer (wenn’s hochkommt) zurückgelegt, aber ehrlich, gerade auf diese möchte ich nicht verzichtet haben. Wir sind jetzt vier Stunden durchgelaufen und haben vielleicht zwölf Kilometer geschafft, durch die Schleifen der Eger kann man das nicht so genau sagen. Erstmal Pause, Wasser, Brot und Hartwurst.
Zweifeln wir daran, heute noch anzukommen beziehungsweise noch weit zu kommen? Ich denke ja, jeder einzeln für sich im Stillen, denn es ist halb zwei, die Sonne brennt unbeirrt am Himmel (auch wenn mein Vater amm nächsten Tage ewas anderes behaupten wird;-)) und haben beim Blick auf die Karten das Gefühl, noch nicht mal ein Drittel gepackt zu haben. Aber scheinbar habe ich meinen Optimismus und eine Art von Unbekümmertheit von Papa, denn wir beide sind uns einig: Ei ja, das war doch bisher ein ganz toller Tag und wir haben ja schöne Wege (und Nicht-Wege) gefunden, und wir laufen halt mal weiter und schauen, wie weit wir kommen und bis wohin und notfalls haben wir das Zelt ja dabei und morgen ist auch noch ein Tag.
Und tatsächlich. Tatsächlich, liebes Tourismusbüro Karlsbad, gibt es MARKIERTE, sogar richtig gut markierte, WANDERWEGE ENTLANG DER EGER! Es gibt dazu sogar ganz hervorragende Übersichtskarten in einigen Dörfern, die am Fluss liegen. Wir finden sie per Zufall, als wir beschießen die Uferseite zu wechseln, um auf der Straße durch ein paar der Ortschaften zu laufen, um so Strecke gut zu machen, sich ein paar der Flusschleifen zu sparen und eine Wirtschaft zu finden, in der man was Kaltes zu trinken ordern könnte (denn:Ja lieber Papa, die Sonne scheint und scheint und scheint und wir laufen nicht nur im Schatten, sondern auch über offene Feldlandschaften und auf Asphalt durch den Ort…). In einer finden wir also solch eine Karte mit Wander- und Radwegen und siehe da:
Ein Wanderweg führt entlang der Eger, natürlich mit ein paar Schlenkern, in die Gemeinde Perštejn, wo in Černýš der Hof meiner Oma und Papas Mama liegt. Und damit das Ziel dieses Wochenendes, das Ziel meiner Reise.
Traumhaft! Das erquickt extrem, zustätzlich zu den Kaltgetränken in einer niedlichen Gartenhüttenwirtschaft, und so kommen wir die nächsten Kilometer richtig gut voran. Gut, mein Vater hat auch einen ordentlichen Schritt drauf (Hut ab!) und ich bin froh, dass mein Rucksack jetzt ziemlich leicht ist im Gegensatz zu den vorangegangen Tagen. Eigentlich müsste ich ja die eingelaufene, jüngere, erprobte Wandein sein, aber da beeindruckt mich mein Papa wirklich – vor allem am Ende des Tages, nachdem wir diese Strecke gemacht haben, er ja quasi trocken aus dem Stehgreif. Stark!
Stark ist auch der folgende Wanderweg: So viel Abwechslung, es könnte fast ein Deutscher Qualitätswanderweg sein! Von den Asphaltstrecken abgesehen 😉 Die zehren zwar immer an Gemüt und Fußssohlen, aber ingesamt gesehen überwiegen tolle Wege. Und ich muss mich durch die Bilder klicken, um keine zu vergessen: Auf erdigen Wegen gehen wir über dem Fluss mit schönem Blick auf diesen entlang der hügeligen Egerberge, auf breiten gemütlichen Wegen geht es durch den Wald, eine alte Bahntrasse leitet uns von einer zur nächsten Ortschaft, auf Wiesenwegen laufen wir vorbei an einer der vielen idyllischen Wochenendhaus-Ansammlungen direkt am Wasser, schmale Pfade führen uns entlang an der Eger und – als Sahnehäubchen obendrauf – sogar an einer Felswand entlang.

Die braungebrannte Mokkabohne auf der süßen Schlagsahne, die den leckersten Eisbecher der Welt serviert: Der Felsweg!
Ich vergesse wahrscheinlich tausend andere schöne und nicht schöne Wege dazwischen, aber so kommen wir auf dem weiß-gelb-weiß markierten Wanderweg richtig gut voran und beschließen so, nach circa 30 Kilometern in Stráž nad Ohří (deutsch Warta) gegen 17.30 Uhr angekommen, trotz der zwischenzeitlich etwas schlechteren Phase, in der wir beide ziemlich geschafft sind und Füße und Waden und Rücken weh tun, noch knapp 4 Kilometer bis Boč (deutsch Wotsch) weiterzulaufen: Dort soll es laut letzter Übersichtskarte zwei Hotels/Pensionen geben, auf Wildcampen hat von uns beiden nach den Schweiß- und Schmutzansammlungen auf jedem Körperteil keiner mehr richtig Lust.
Doch diese haben beide schon zu, stellen wir an Ort und Stelle angekommen erschöpft fest. Tja, so ist das, wenn man eher ungeplant auf gut Glück losläuft und weiterläuft und den Tag so laufen lässt. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen gegenüber Papa, dem ich hier heute diese Tour zumute. Aber er beklagt sich nicht und ist immer noch begeistert von dem letzten Felsabschnitt und von den weiten Wäldern, die die irgendwie ungewöhnlich geformten Berge an beiden Seiten der Eger bedecken. Und so nehmen wir zur späten Stunde die nächsten 4 Kilometer zum Ort Perštejn unter die Füße, wo Papa bei seinem ersten und letzten Besuch in der alten Heimat meiner Oma (2013) in einem Hotel Abendessen war. Dort sollte es also klappen.

Der Fluss fließt in Schleifen durch das Tal. Hinter dem letzten verblassten Berg, da sind wir irgendwann mal heute irgendwo losgelaufen…
Zum grönenden Abschluss des Wandertages, nehmen wir zwei noch eine Abkürzung, die uns vom Wanderweg ab direkt zum an einer Schnellstraße liegenden Hotel bringen soll, statt erst hinab in den Ort und dann wieder hinauf zu laufen. Also schlage ich vor, quer durch ein Feld zu gehen, das uns wiederum oberhalb von einem Friedhof rausbringt. Der eingezäunt ist. Aber man muss ja darum herumlaufen können, geht auch, aber runter zur Straße muss man sich dann halt durch die Böschung zwischen Straße und Friedhof beziehungsweise Feld schlagen – ein letztes Mal wie Rambo durch Bäume und Gebüsche (scheinbar mit stechenden Widerhaken, die mir aber erst im Nachhinein an den Beinen auffallen). Lachend springe ich von der Mauer am Straßenrand: Ich finde, das passt ganz hevorragend zu diesem Tag!
Neben dem Friedhof liegt das sehr moderne Hotel, das noch ein Zimmer frei hat (wir sind die einzigen Gäste um genau zu sein…) und sogar die Küche hat noch eine halbe Stunde geöffnet: Wir sind um halb neun abends angekommen, nach fast 40 Kilometern oder mehr oder weniger, genau werden wir das nie erfahren.
Aber was wir erfahren haben, ist diesen Tag, der mich aufgrund der Weite, der Abwechslung, des Abenteuers überwältigt hat. Und noch aus zwei anderen Gründen: Ich durfte ihn mit meinem Papa teilen, ein Erlebnis das uns für immer erhalten bleibt. Und wir sind eigentlich schon angekommen: Tschirnitz ist keine 5 Kilometer entfernt und in Perštejn ist meine Oma zur Schule und in die Kirche gegangen. Ich spüre deutlich, dass ich ankomme und es fällt mir schwer, in der Nacht Schlaf zu finden.
Worte des Tages: Wenn es keinen Weg gibt, bahne dir einen.
Geschafft: irgendwas um die 40 km