Wenn der Bürgermeister zum Bier lädt…

…dann kann man 1.) nicht Nein sagen und 2.) bleibt es nicht bei einem Bier. Doch das ist das Ende des gestrigen Tages, der schon prächtig angefangen hatte. Und zwar auf dem Fuggishof, wo ich nach gemütlicher Nacht um 9 Uhr kurz mein Wasser auffüllen wollte, bevor es an die vor mir liegenden 1200 Höhenmeter gehen sollte. Die Fuggishoferin bat mich sofort in die gute Wohnstube, um mir Kaffee zu servieren. Damit hörte es nicht auf, ich konnte ihr auch ein Frühstück nicht abschlagen. Mei, so unverhofft schmeckt es noch besser – ich bin so dankbar für die spontane Hilfsbereitschaft, die mir die Menschen entgegenbringen, unglaublich.

Es gibt nicht nur Käse und ultraleckere selbstgemachte Marmelade (Rhabarber mit Zimt, ich bin verliebt!), die Dame des Hofs macht mir auch noch Rührei und einen Apfel krieg ich auch noch mit. Der Tag ist jetzt schon ganz ausgezeichnet! Der Fuggishofer schickt mir noch ein „Ohne Mampf kein Kampf“ hinterher und los gehts an den ersten von vielen steilen Anstiegen.

Das ist mit Abstand die bisher härteste Etappe, zumindest was den Aufstieg angeht. Gut, dass ich a) bergauf fein finde und b) es liebe, mich auszupowern – und dabei furchtbar zu schwitzen… Um euch nicht mit „Und für die nächsten 100 Höhenmeter habe ich so und so lang gebraucht“ zu langweilen, reproduziere ich meine Bergetappe in Liedern. Denn nur so überstehe ich die zum Teil quälend steilen Anstiege, im musikalischen Delirium 😉

Ob ihr es glaubt oder nicht: Nachdem ich nach dem ersten Monsterstück entscheide, den Shuffel-Modus für die nächsten Anstiege nötig zu haben, werde ich mit „Run Boy Run“ motiviert. Das fängt doch gut an! Weiter geht es mit Jimmy Hendrix Gitarrensoli, die tragen mich g’schwind hinauf. Doch dann, als ich kurz vor Heizkessel-Explosion stehe – die Imagine Dragons behaupten es wäre „my choice“ gewesen und dass ich „maybe asleep fallen“ werde. „Maybe“? Mit Sicherheit,  denke ich, oben am Farrenkopf angekommen, in 38 Minuten von 490 auf 790 Höhenmeter geschleppt, auf lediglich 2,44 Kilometer.

Auch bei den nächsten Anstiegen, zum Teil brauche ich für nur einen halben Kilometer 10 Minuten, wird mir ständig von diversen Künstlern erzählt, dass es ganz alleine meine „choice“ wäre, die mich hier hochquälen lässt, und dass diese „can change your life“. Das ist mir zu schwerer Tobak für extreme Anstrengung.

Ich freu mich daher, als nach dem ersten, aber vor dem zweiten Anstieg Bill Withers ein „Lovely Day“ besingt. Danach gehts aber auch richtig über Stock und Stein in die Höhe, da kommt Nirvanas psychodelisches Tourette-Lied grade recht, die darauf folgende, minimale Steigung begleitet mich Biffy Clyro mit „I am the mountain“ – sehr passend. 🙂

Mir tropft der Schweiß von der Stirn – gut, dass ich so vornüber gebückt laufe, dass ich nur den Boden statt mich selbst benetze – vielleicht ist das der Grund, warum mir die Arctic Monkeys mitteilen: „All your eyes looking at me so confused“. Der Anstieg zum Huberfelsen, wo ich Mirko und Lisa wieder treffe :), meister ich fast lachend, weil ein 2000er-Technolied mich an meine Aquafitness-Zeiten erinnert. Da habe ich übrigens am Beckenrand genauso geschwitzt (ich bin nur ehrlich!).

Dem Musikgott besonders dankbar bin ich für die Auswahl während des letzten fiesen Anstiegs auf den Karlstein (968 Höhenmeter): Casper und Kraftklub singen, dass alles „Ganz schön Ok“ ist – und so fühle ich mich auch! Ich brauche zwar für die läppischen 14 Kilometer bis zur Wilhelmshöhe fast vier Stunden, bei den Höhenmetern ist das aber ok, und ich merke sie schon in Po- und Oberschenkelmuskeln.

Eigentlich will ich weiter, nach einem Espresso im Gasthaus bis zu einem Landhof laufen, um dort wieder nach einem Zelt-Stellplatz zu fragen. Doch, es kommt alles anders…

Kurz vor mir hält am Rande ein Auto, der Herr darin (dieses Jahr feiert er 60. Geburtstag wie ich später herausfinde) will sich die Restaurierung eines Holzkreuzes anschauen. Da laufe ich ihm über den Weg, und nachdem das Gasthaus zu hat, bietet er mir statt dem Espresso ein Bier aus dem Kofferraum an. Ja gut, warum nicht?, denke ich. Eine nette Geste sollte man auf keinen Fall abschlagen und die paar Ecken zum Hof schaffe ich auch so.

Wir setzen uns auf die Bank, öffnen die Tannenzäpfle und reden – über das beste Haltbarkeistdatum für Bier, Hemmingway als Mörder und Wilhelm Busch-Zitate. Das sollte nicht das einzige bleiben, das ich an dem Abend lerne. Bald stellt sich heraus: Der Bierspender ist Bürgermeister einer der größeren Städte hier in der Umgebung. Echt jetzt, ich bin doch irgendwie ein Glückskind… Nachdem die erste Flasche geleert ist, gehen wir um die Ecke zu seiner Jagdhütte. Was soll ich sagen? Wir verstehen uns halt gut, die Schwarzwälder und ich. 😉

An der Jagdhütte gehen wir nach zweitem Bier und ein paar Kurzen Roter Tobinambur (lokale Delikatesse, kann ich empfehlen) zum Du über – wir nennen den Bürgermeister mal Herbert, er will nicht in der Öffentlichkeit genant werden. 😉 Wir haben ziemlich verschiedene Meinungen – in ziemlich allen: Klimawandel, Energiewende, die Frauenrolle und vor allem den 1. und 2. Weltkrieg und die Rolle der Deutschen und der Briten.

Ehrlich, ich hätte vor ein paar Tagen noch nicht gedacht, dass ich im tiefsten Südschwarzwald mit einem Bürgermeister über Politik, Wirtschaft und geschichtliche Fakten debatiere. Aber, es hat sich so ergeben, gut nicht nur fürs Gemüt, sondern auch für meinen Magen: Ein Rumpsteak ist nämlich auch noch drin. 😉 Ist doch verrückt, denke ich immer wieder, denn ich hatte mich eigentlich auch schon einfach darüber gefreut, dass mir jemand am Wegesrand ein Bier anbietet!

Als wäre das alles nicht genug, bekomme ich noch einen neuen Wanderstock geschenkt, 🙂 Meiner sei nämlich brüchig, weil von Pilz befallen – ich fand das Muster einfach schön… Um 21 Uhr bin ich zurück an der Wilhelmshöhe und baue mein Zelt zwischen zwei Höfen auf einer Spielplatzwiese auf. Herbert sagt, wenn es Probleme gibt soll ich auf den Bürgermeister verweisen – mit dem Trumpf in der Hand lässt es sich hervorragend schlafen!

Motto des Tages: Ein Frühstück am Morgen,  vertreibt Kummer und Sorgen. Am Abend ein Bier, das rat ich dir 😉

Geschafft: 14,09 km, 3 h 39 min, Aufstieg ca. 1100 Höhenmeter, Abstieg 490 Hm. Fuggishof – Zelt auf der Wilhelmshöher Wiese.

Einer der fiesen Anstiege, in Echt sahen die viel Angst einflößender aus!

Einer der fiesen Anstiege, in echt sahen die viel Angst einflößender aus!

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